Nach Fällen von Messergewalt in der Stuttgarter Innenstadt geht die Diskussion über die notwendigen Konsequenzen weiter. "Das deutsche Waffenrecht steckt in einer Sackgasse", kritisiert beispielsweise die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Baden-Württemberg. Die konkurrierende Polizeigewerkschaft, die Deutsche Polizei-Gewerkschaft (DPolG) BW, fordert einen härteren Umgang mit Menschen, die unerlaubt Messer bei sich tragen: "Wir müssen hart gegen Straftäter mit Messern durchgreifen, und wir müssen konsequent das Tragen von Waffen und Messern bekämpfen", so Bundesvizechef Ralf Kusterer gegenüber dem SWR.
Mehr Straftaten mit Messern in BW als noch vor einigen Jahren
Das baden-württembergische Innenministerium räumt ein, dass Fälle von Messergewalt zugenommen haben. In den letzten zehn Jahren sei bei Straftaten mit Messern im öffentlichen Raum in Baden-Württemberg ein Anstieg von rund zehn Prozent zu beobachten, teilte es dem SWR mit. "Dieser Anstieg zeigt eine reduzierte Hemmschwelle, Messer mitzuführen und bei Straftaten einzusetzen." 2023 hätten Messerangriffe im öffentlichen Raum in Baden-Württemberg um 13,5 Prozent auf insgesamt fast 1.300 Fälle zugenommen.
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Nicht erst seit dem Messermord in Illerkirchberg wird vor der Gefahr durch Stichwaffen gewarnt. Es wird kontrolliert, es wird bestraft - aber die Zahl der Angriffe steigt weiter.
Waffenverbotszone: Stuttgart wünscht sich mehr Polizei-Befugnisse
Seit rund eineinhalb Jahren besteht in einem Teil der Stuttgarter Innenstadt eine Waffenverbotszone - ebenso in Mannheim, Heilbronn und Heidelberg. Speziell in Stuttgart gilt sie jeweils am Wochenende zu bestimmten Zeiten. Nach dem jüngsten Fall prüfe die Stadt Stuttgart jetzt, ob die Verbotszone erweitert werden kann, sagte Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) - sowohl was das Gebiet als auch die Zeiten betreffe.
Anlasslose Kontrollen in Verbotszonen: Ministerium sieht keine Handhabe
Das Problem dabei: Die Polizei darf in der Waffenverbotszone seither nicht anlasslos kontrollieren. Denn das sei nur an als "gefährliche Orte" definierten Kriminalitäts-Hotspots möglich. Dies zu regeln und rechtlich zu ermöglichen, sei aber Angelegenheit der Landespolitik, so Maier.
Die Landesregierung sieht jedoch keine Möglichkeit, diese Forderung umzusetzen. "Die Verordnungen beruhen auf einer Ermächtigungsnorm des Waffengesetzes - einem Bundesgesetz; die Gesetzgebungskompetenz liegt hier beim Bund", teilte das Landesinnenministerium auf SWR-Nachfrage mit. "Von den bestehenden gesetzlichen Vorgaben des Waffengesetzes zur Einrichtung von Waffen- und Messerverbotszonen kann daher in Baden-Württemberg nicht abgewichen werden."
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Polizei-Vertreter kritisiert: Hürden für Waffenverbotszone zu hoch
Jedoch teilte das Landesinnenministerium auch mit, dass die Waffenverbotszonen derzeit einen Prüfprozess durchlaufen. "Das Innenministerium wird im nächsten Schritt das Anhörungsverfahren durchführen", heißt es von dort. "Insbesondere die Kommunalen Landesverbände können sich nun zu den Verordnungsentwürfen äußern." Es ist also gut möglich, dass Maiers Forderung nach einer Erlaubnis der Polizei für anlasslose Kontrollen auf Waffen sich auch in dieser Anhörungsphase wiederfindet - und vielleicht auch die Position der Deutsche Polizeigewerkschaft. Denn diese kritisiert: "Viele Kommunen konnten aufgrund der hohen rechtlichen Hürden bisher keine Waffenverbotszonen umsetzen." Deshalb müssten die Hürden reduziert werden, damit solche Zonen relativ einfach eingerichtet und ausgewiesen werden könnten, fordert die Gewerkschaft.
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Und während Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Maier für mehr Polizeibefugnisse innerhalb der Waffenverbotszone plädiert, fordert die DPolG diese auch außerhalb: "Die rechtlichen Möglichkeiten für die Polizei, außerhalb von Waffenverbotszonen die Einhaltung bereits bestehender waffenrechtlicher Verbote zu kontrollieren, sind eng begrenzt", kritisiert sie in einem Positionspapier. "So müssen beispielsweise Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führen, die sichergestellt oder beschlagnahmt werden dürfen", erklärt die Gewerkschaft und fügt hinzu: "Aus unserer Sicht könnte in Anbetracht der aktuellen Entwicklung ein Gefahrenverdacht als Kontroll-Kompetenz ausreichen."
Polizei-Gewerkschaften für ein Verbot von Springmessern
Außerdem spricht sich die Gewerkschaft für eine Verschärfung des Waffenrechts aus. Dazu gehört ein generelles Verbot von Springmessern. Auch Messer ab einer Klingenlänge von sechs Zentimeter sollten künftig nicht mitgeführt werden dürfen, und es sei ein "generelles Umgangsverbot für Kampfmesser und Dolche" nötig, schreibt die DPolG in einem Positionspapier.
"Jeder, der gegen das Waffengesetz verstößt und unerlaubte Messer bei sich trägt, gehört bestraft", teilte der baden-württembergische DPolG-Landesvorsitzende und Bundesvizechef Ralf Kusterer auf SWR-Anfrage dazu mit.
Auch die Gewerkschaft der Polizei ist mit dem derzeitigen Waffenrecht unzufrieden. "Das deutsche Waffenrecht steckt in einer Sackgasse. Die Aufforderung des Bundesrates an den Bundestag, das Messergesetz zu verschärfen, verhallte scheinbar ungehört."
Damit bezieht sie sich offenbar darauf, dass das Land Niedersachsen mit Unterstützung von Baden-Württemberg im Mai einen Antrag für ein strengeres Waffenrecht in den Bundesrat eingebracht hatte - mit der Aufforderung, dass die Bundesregierung "den Umgang mit Waffen und Messern in der Öffentlichkeit weiter" beschränkt. Dazu gehörte auch, dass sie ein Verbot von Springmessern prüfen soll.
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Mitte Juni beschloss der Bundesrat schließlich die von Niedersachsen eingebrachten Forderungen nach einem strengeren Waffenrecht, damit die Bundesregierung sich damit befasst. Während die Reform also derzeit noch auf sich warten lässt, fordert die DPolG, die bereits geltenden Vorschriften konsequenter anzuwenden. "Was wir auch benötigen, ist ein hartes Durchgreifen und ein Ausschöpfen aller Sanktionsmöglichkeiten der Justiz", so Kusterer. Sobald in einem Fall ein Messer eine Rolle spiele, dürfe das Verfahren nicht mehr einfach eingestellt werden.
Tausch Messer gegen Netflix: Polizeigewerkschaft rudert zurück
Für eine hitzige Diskussion sorgte in den vergangenen Tagen der Vorschlag, Menschen zu belohnen, wenn sie Messer bei staatlichen Stellen abgeben - beispielsweise mit einem kostenlosen Netflix-Abo. Ins Spiel gebracht hatte das am Dienstag der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke. "Konkret könnte das bedeuten: ein Jahr Netflix für die Abgabe eines verbotenen Butterfly-Messers", sagte er - ähnlich wie bei einer "Abwrackprämie" für Autos.
Gegenwind für diesen Vorschlag kam unter anderem von der Deutschen Polizeigewerkschaft. Beide Gewerkschaften vertreten allgemein unterschiedliche Forderungen: Die DPolG gilt politisch gesehen eher als konservativ, sie vertritt oftmals striktere Forderungen als die GdP.
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Entsprechend deutlich wies DPolG-Landeschef Kusterer den "Vorstoß unseres Mitbewerbers" ab. Man sei über den Netflix-Vorschlag sogar regelrecht entsetzt, teilte Kusterer auf SWR-Anfrage mit.
"Wie müssen sich solche Forderungen für Menschen anhören, die Opfer von Messer-Gewalt wurden?", fügte Kusterer hinzu. Das gelte auch mit Blick auf den Fall des in Mannheim getöteten Polizisten Rouven Laur.
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Arbeitspensum: GdP sieht Polizei am Limit
Am Donnerstag sprach der Landesvizevorsitzende der GdP in Baden-Württemberg, Thomas Mohr, von einem Fehler des Bundesvorsitzenden. Kopelke wird dabei zitiert mit den Worten: "Mein Netflix-Beispiel ist falsch, und dafür entschuldige ich mich." Doch zumindest ist die Gewerkschaft bei ihrer allgemeinen Forderung geblieben, dass Besitzerinnen und Besitzern von Messern Straffreiheit genießen, sofern sie Messer bei Behörden freiwillig abgeben. Auf ihrer Website spricht sie sich nach wie vor für eine solche Amnestie aus. Das habe 2009 und Ende 2017/Anfang 2018 in Deutschland schon einmal gut funktioniert.
Davon abgesehen beklagt die GdP, auch für Polizistinnen und Polizisten stelle "der vermehrte Einsatz von Messern eine Bedrohung dar". Es sei nachvollziehbar, dass sich die Gesellschaft mehr Messerverbotszonen und mehr Kontrollmaßnahmen wünsche. "Aber: All das bedeutet ein nicht leistbares Mehr an Arbeit für unsere Kolleginnen und Kollegen", so der GdP-Landesvorsitzende Mohr. "Diese Verantwortung allein auf unsere Polizei abzuwälzen, ist keine nachhaltige Lösung."
Das Innenministerium kündigt an, die baden-württembergische Polizei werde ihr Personal in den kommenden Jahren aufstocken. "Durch die derzeit noch hohen Personalabgänge sowie kontinuierliche Aufgabenzuwächse ist dies aktuell noch nicht in allen Bereichen wahrnehmbar", räumt das Ministerium ein. "Aber das wird sich zunehmend und spürbar ändern".